Kapitel für Kapitel werde ich hier den Fortschritt meines noch unfertigen Fantasyromans Stígandr veröffentlichen.
Der Roman erzählt die Geschichte des unscheinbaren jungen Mannes Noah, der eines Morgens unsanft von einem alten Mann geweckt wird, der kurz darauf vor seiner Türschwelle zusammenbricht. Dieser stirbt noch in seinem Haus, aber seine Erinnerung lebt weiter und enthüllt ihm, dass er der neue Stígandr - der neue Weltenwanderer - ist. Als solcher ist er in der Lage zwischen allen existierenden Paralleluniversen umherzureisen. Sehr schnell erfährt er jedoch, dass diese Gabe auch Bürde und Bestimmung ist.
Auf Anfrage schicke ich euch gerne den aktuellen Stand per Mail zu.
Seltsame Begegnung
Hämmernd klopfte es an der Tür. Jedes Klopfen fühlte sich an wie eine Explosion in meinem Kopf. Verdammt - schon wieder eine Nacht durchwacht.
Langsam versuchte ich die Augen zu öffnen, aber außer gleißend hellem Licht drang nichts durch meine Pupillen. Was hatte mich schon wieder wach gehalten? Welcher quälende Gedanke wollte dieses Mal nicht weichen? Das Klopfen an der Tür wurde energischer. Seufzend öffnete ich die Augen, das Gefühl als würden meine Netzhäute gerade durchgebrannt ignorierend, und setzte mich auf. Alles begann sich zu drehen und ich wäre fast wieder ins Bett gesunken, aber das Klopfen lockte mich. Sollte ich so die Tür öffnen? Egal - wer auch immer die Dreistigkeit besaß um 7 Uhr morgens so feste an meine Tür zu klopfen, dass ich daran zweifelte, ob sie das noch lange aushielt, durfte sich nicht darüber aufregen, wenn ich ihn in Shirt und Shorts empfing.
Schweren Schrittes machte ich mich langsam stapfend auf in Richtung Tür und mit jedem Schritt stieg die Neugierde, wer wohl auf der anderen Seite der Tür stand. Sollte es ein Staubsaugervertreter oder sogar die Zeugen sein, würde ich erstmal mein Katana von der Wand nehmen und für nichts garantieren. Natürlich wusste ich, dass es nicht scharf war und natürlich wusste ich auch, dass ich keiner Fliege etwas zu Leide tun kann, aber wenn sie schon so einen bleibenden Eindruck hinterließen, wollte ich das auch.
Endlich erreichte ich die Tür und streckte meine Hand zur Klinke aus, mich fragend, ob mir die Tür wohl gleich entgegenfliegen würde, wenn ich sie öffnete. Ich drückte die Klinke herunter und zog vorsichtig die Tür auf, gefasst darauf, mir gleich einen Schaukampf mit einer Horde staubsaugervertretender Zeugen Jehovas zu liefern. Doch die Gestalt, die auf der anderen Seite der Tür stand hätte ich nicht erwartet. Ein hagerer alter, in Lumpen gehüllter Mann schaute mich müde und traurig an. Er wirkte gebrechlich und sagte kein Wort. Ich wollte ihn gerade fragen, wer er sei und was zur Hölle er von mir wolle, als er vor meinen Augen zusammenbrach. Na toll! Ein Obdachloser!
Ich überlegte einen Moment, ob ich ihn da liegen lassen sollte, aber irgendeine kleine Stimme in meinem Hinterkopf sagte mir, dass ich das bereuen würde. Langsam beugte ich mich also zu dem Mann herunter und hob ihn vorsichtig vom Boden auf. Seltsam - keine Fahne und auch sonst kein strenger Geruch. Stattdessen kam mir ein leichter Hauch von Moos und Blättern entgegen. Bis auf seine Lumpen schien der Mann sogar sehr gut gepflegt. Ich zog ihn behutsam in das kleine Kabuff, dass ich Wohnzimmer nannte und legte ihn auf mein Sofa. Als
ich mich gerade aufrichten wollte, packte der Mann mich plötzlich am Arm. „Mögen dir die Götter das vergelten.“, stammelte er, dann sackte sein Arm wieder herunter. Geschockt und verwundert zugleich, starrte ich den Mann eine Weile an. Was meinte er mit „die Götter“? Ich nutzte die Gelegenheit und schaute mir den Mann genauer an: In seinem Gesicht lag eine Weisheit, als weilte er schon seit Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden auf dieser Welt.
Diesen abstrusen Gedanken verdrängend stellte ich den Wasserkocher an, um ihm eine Brühe zu kochen, und begab mich in mein noch kleineres Schlafzimmer um meinen - nennen wir es Kleiderschrank- nach ein paar Klamotten für den Mann zu durchforsten. Nachdem ich mein komplettes Zimmer mit Kleidungsstücken übersät und endlich etwas gefunden hatte, was der hageren Statur des Mannes entsprach, kam ich zurück ins Wohnzimmer, wo sich die Absurdität der ganzen Situation ins Unermessliche steigerte.
Der Mann war verschwunden und seine Lumpen lagen auf meinem Sofa, als wäre der Mann einfach aus ihnen heraus verpufft. Vorsichtig näherte ich mich dem Sofa und entdeckte in den Lumpen einen grünen Edelstein und ein silbernes Amulett, auf dem ein Dreieck abgebildet war, von dessen Ecken sich jeweils eine Spirale eröffnete. Die Spirale des Lebens - ein heidnisches Symbol. Seltsamerweise zog jedoch der Edelstein meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Bei genauerem Hinsehen fiel mir auf, dass er eigentlich durchsichtig war, in seinem Inneren aber eine grüne Wolke eingeschlossen war, die mich sehr an Moos erinnerte. Es war ein Moosachat, ein Edelstein, dem oft magische Kräfte zugesprochen werden - zumindest, wenn man daran glaubte.
Ich streckte meine Hand nach ihm aus, um ihn aufzuheben, doch schaffte ich es gerade einmal ihn mit meinem Zeigefinger zu berühren. Eine rasende Bilderflut flog vor meinem geistigen Auge vorbei. Im Bruchteil einer Sekunde sah ich tausende von Schlachten, gefolgt von den Bildern eines so kräftigen Winters, wie er vermutlich nicht einmal an den Polkappen herrscht. Zwei Wölfe jagten der Sonne hinterher und verschlangen sie, danach schienen die Sterne vom Himmel zu fallen und eine tiefe Dunkelheit brach ein. Die Erde begann zu beben, Bäume wurden entwurzelt und ganze Gebirgszüge brachen ein. Und wieder sah ich Dunkelheit. Ein riesiger Wolf befreite sich aus seinen Fesseln und eine gewaltige Seeschlange, größer als alles, was man sich vorstellen kann, schwamm durch überflutete Landstriche. Wieder Schwärze. Zwei Fronten standen sich gegenüber: Die eine Front, eine Horde Krieger, in deren Mitte sich ein paar durch eine eigenartige Aura hervorhoben, befand sich in einer goldenen Halle. Die andere Front, in der ich auch die Schlange und den Wolf ausmachen konnte, stand auf einer gewaltigen Brücke vor der Halle, die ich zuvor gesehen hatte. Eine gewaltige Schlacht begann, in der nahezu alle Streiter erlagen. Das Letzte was ich sah, war ein Riese, der Feuer über die ganze Welt schleuderte. Ein gewaltiges, alles verschlingendes Feuer und Schreie - Schreie von überall, die einem durch Mark und Bein fuhren. Dann wurde ich ohnmächtig.
Als ich wieder zu mir kam schaute ich in ein vertrautes Gesicht. Es war das Gesicht des alten Mannes, der vorhin noch verschwunden war und sich über mich gebeugt hatte. Er berührte mich am Arm, doch ich spürte seine Berührung nicht. Es war, als würde er gar nicht wirklich existieren, als wäre er nur eine Halluzination. Und trotzdem wirkte er so echt, wie der Boden auf dem ich lag. Ich glaubte sogar, den feinen Geruch von Moos und Blättern wieder wahrzunehmen. Ich wollte mich aufsetzen, doch der Mann signalisierte mir liegen zu bleiben. „Beruhige dich erst einmal, Noah.“, sagte der Mann mit fester Stimme, die von allen Seiten zu kommen schien. „Bleib liegen, bis der Schock vorbei ist, dann werde ich dir alles erklären.“ Er hatte Recht: Mein Herzschlag hatte die Frequenz von dem einer Maus erreicht, aber die Intensität von dem eines Elefanten. Ich versuchte zu verstehen, was ich da gerade gesehen hatte und woher der Mann plötzlich wieder aufgetaucht war, warum ich seine Berührung nicht spüren konnte und vor allem, woher er meinen Namen kannte. Mein Gehirn wehrte sich mit allen Kräften.
Der Mann begann mir mit leiser Stimme zuzureden: „Lass dich treiben, Noah. Versetze deinen Geist in einen Wald voll Moos und Sonnenlicht. Du hörst das leise Plätschern eines Baches und das Rauschen der Bäume im Wind. Nichts kann dich in deiner Ruhe stören.“ Tatsächlich fand ich mich auf einmal in einem Wald wieder, so alt und ruhig, wie er zu unseren Zeiten vermutlich gar nicht mehr existiert. Ich spürte, wie mein Herz langsam zur Ruhe kam. Das Gedankenchaos begann sich zu legen und ich wurde wieder klar im Kopf. „Komm zurück, Noah!“, rief mir der Mann aus weiter Ferne zu. Der Wald um mich herum verschwand und ich war wieder in meinem Wohnzimmer. „Ich denke, es ist Zeit dir einiges zu erklären“.
Sei niemals hilfreich, wenn du nicht mit den Konsequenzen leben kannst.
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