Freitag, 7. August 2015

Gastfreundlichkeit

Von der Decke meiner Mietswohnung im zweiten Stock rieselt brauner Staub auf meinen Esszimmertisch. Herr Kowalski, ein querulanter Kerl mit kahlem Kopf, stampft über mir unaufhörlich, rhythmisch-wütend auf den Boden. Peinlich berührt nippe ich an meinem Kaffee und blicke mein Gegenüber wortlos aber entschuldigend an. Mein Gast wirkt verängstigt und ich kann es ihm nicht verübeln.

Draußen tobt ein heftiger Sturm und der dunkelhäutige Mann, der nicht aus dieser Gegend kommt, wusste nicht, wohin er sich unterstellen soll. Er klingelte verzweifelt an meiner Tür und fragte, ob er für die Dauer des Unwetters kurz bei mir unterkommen könne. Über die Außenkamera sah ich seinen mitgenommenen Blick und bat ihn rein. Ich bin schließlich ein freundlicher Mensch und habe keine Angst vor Fremden.

Jetzt sitzt er da und weiß nicht, ob er sich sicher fühlen soll. Von oben dröhnt es: „Scheiß Kanacken! Drecksschmarotzer! Abhauen sollen die! Wo kämen wir denn hin, wenn wir jeden, der ein bisschen nass wird, hier reinließen? So viel Platz haben wir hier doch gar nicht. Anzünden sollte man die! Dann werden die auch wieder trocken…“. Das Poltern geht weiter. Der Staub rieselt weiter. Mein Gast zuckt bei jedem Mal.
Am liebsten würde ich nach oben gehen, wild gegen Kowalskis Wohnungstür hämmern und ihm sagen, was ich von ihm und seiner Meinung halte, aber er ist muskulös und ich nicht. Die anderen Nachbarn oder zumindest der Hausmeister werden sich sicher bald beschweren und dann gibt er schon Ruhe. Wir wohnen schließlich in einem anständigen Haus und da wird so ein Lärm nicht lange geduldet.

Eine ganze Weile vergeht. Herr Kowalski hört nicht auf – dafür der Sturm. Erleichtert steht mein Gast auf, bedankt sich zaghaft und verlässt das Haus. Auch ich bin erleichtert, dass diese unangenehme Situation vorüber ist. In Zukunft werde ich so schnell lieber niemanden mehr in meine Wohnung lassen.

Montag, 25. Mai 2015

Querschläger-Gedanke I

Wenn du jeden Tag so lebst, 
als wäre es dein letzter, 
könnte er es schneller sein, 
als dir lieb ist.

Dienstag, 11. November 2014

Ungesagt

Ich sehe dich und -
du siehst mich.
Du grüßt mich;
auch ich grüß‘ dich.

Ich sage: „Ach, hallo!“
statt „Ach, herrje!“.
Ich red‘ mit dir
trotz Fluchtinstinkt.



„Ich schaff’s heut nicht.
Hab viel zu tun.
Wir müssen das leider
verschieben."

„Ist nicht so schlimm.
Sind ja noch jung.“,
sag‘ ich, leg auf
und seufze laut.



„Ich hasse dich!“,
schreist du mich an,
schrei' ich dich an
und Kissen fliegen.

Die Tür knallt zu.
Wir bleiben steh‘n-
Rücken an Tür an Rücken
und weinen still.



Will dir gern sagen,
was ich denke.
Will, dass du gehst,
kommst, bleibst.

Schluss mit Schweigen.
Schluss mit Lügen.
Ich sag‘ jetzt frei heraus:

Donnerstag, 31. Juli 2014

Zuletzt online vor über einem Jahr

Du bist schon eine Weile tot,
doch sehe ich dich jeden Tag.
Bist 'offline' jederzeit.

Es ist dir nicht erlaubt zu gehen
und uns zwingt man dich festzuhalten.
Verweile doch, du bist im Netz.

Behalt‘ ich dich, dann bleibt der Schmerz.
Entfern‘ ich dich, dann bist du fort.
Ein Klick, der Überwindung kostet.

Das Internet vergisst dich nicht,
egal ob lebend oder tot.
Es konserviert dich ungefragt.

Ein zweifelhaftes zweites Jenseits.
Ein Backup unsrer Seele
und trotzdem nur ein Abbild.

Mittwoch, 26. März 2014

Schubladen

Ist ein Gelehrter stets ein weiser Mann
und jedes Kind ein schwacher Geist?
Kommt mit dem Alter die Erfahrung
und der Jugend Leichtsinn stets zuvor?

Ist jeder Priester Pazifist
und ein Soldat stets Patriot?
Ist jeder Richter auch gerecht
und jeder Räuber kriminell?

Ist jeder Arzt ein Menschenfreund
und jeder Einsiedler ein Misanthrop?
Ist jeder Clown auch immer fröhlich
und ein Beamter schlecht gelaunt? 

Bin ich besonders, weil ich anders bin?
Bin ich gewöhnlich, weil ich Durchschnitt bin?
Bin ich absonderlich, weil ich besonders bin?
Bin ich vernünftig, weil ich gewöhnlich bin?

Ich bin, was ich bin.
Ich bin die Summe meiner Teile.
Ich bin einzigartig
und bestimmt nicht, wie du denkst.

Sonntag, 23. Februar 2014

Bekenntnis eines Plappermauls

Warum ich immer so viel rede?
Nun, ich liebe den Klang meiner eigenen Stimme,
aber hasse den Klang meiner inneren.
Glücklicherweise können sie nicht gleichzeitig sprechen.

Donnerstag, 20. Februar 2014

Vision im Feuer

















Nachts am Feuer sitze ich.
Ich träume und lausche,
was Funken knisternd kreisend
mir erzählen – fast schon singen.

Geschichten aus weit mehr
als tausend und einer Nacht, 
Äonen der Erdgeschichte
strömen wärmend auf mich ein.

In den Flammen sehe ich
ganze Völker auf- und niedergehen.
Sehe mächtige Könige regieren
und einfache Bauern sie stürzen.

Heere treffen aufeinander; hinterlassen
nichts als verbrannte Erde,
aus der dennoch immer wieder
ganze Wälder auferstehen.

Der Mensch verschwindet von der Erdfläche
doch die Erde dreht sich weiter.

Mit all diesen Bildern im Kopf bette ich mich
lächelnd in die Erde, aus der ich kam,
in die ich irgendwann zurückkehre,
wissend, dass sie überdauert.

Mittwoch, 19. Februar 2014

Mensch 2.0

Außer mir und den paar anderen Urgesteinen weiß heute keine mehr wie sie anfing, die menschliche Revolution. „Zurückgebliebene“ nennen sie uns, „Auslaufmodelle“, wenn sie glauben, dass wir nicht hinhören. 

Ich erinnere mich noch gut daran, auch ohne irgendwelche Implantate in meinem Kopf: Als sie den ersten Quantencomputer fertigstellten, ging plötzlich alles so schnell. Innerhalb von wenigen Tagen wurde die komplette Welt der Informationstechnologie auf den Kopf gestellt. Rechenleistung stand plötzlich in nahezu unbegrenztem Maße zur Verfügung. Die Fachpresse jubelte schon, dass nun ein neues digitales Zeitalter angebrochen sei – bis das organisierte Verbrechen  nur wenige Tage später den Nutzen des Quantencomputers für sich erkannte. 
Durch die enorme Rechenleistung war plötzlich keine Verschlüsselung mehr sicher, weil sie nun binnen von Sekunden geknackt werden konnten.
Die Regierung musste schnell eingreifen: Sie machte kurzerhand alle Besitzer eines Quantencomputers ausfindig, beschlagnahmte die Rechner und  erklärte die Baupläne zu Staatseigentum sowie die Nutzung von Quantencomputern zum staatlichen Monopol. Danach wurden alle Forscher, die zuvor mit der Entwicklung des Rechners beschäftigt waren, von der Regierung unter Vertrag genommen, um sein volles Potential zu erforschen und es zum Wohl des Volkes einzusetzen.
Anfangs verliefen die Forschungen sehr kontrolliert und die Rechenleistung wurde nur für die Lösung mathematischer Probleme genutzt. Die Erkenntnisse hieraus waren zwar enorm, aber nicht bahnbrechend. Dann hatte jedoch der Informatiker Allen White, dessen Fachgebiet künstliche Intelligenz war, die Idee, einen vielversprechenden Prototypen für eine künstliche Intelligenz mit dem Quantencomputer zu betreiben. Der Prototyp war in seinem Forschungsgebiet schon lange Zeit bekannt gewesen, jedoch nie zum Einsatz gekommen, da die immens hohe Rechenleistung, die für seinen Betrieb nötig war, bis dahin einfach nicht zur Verfügung stand. Er war stark genug, um Probleme nicht nur genauso gut, sondern schneller und besser als ein Mensch zu lösen. Die Kombination aus Quantencomputer und KI konnte nun als Forschungsmaschine genutzt werden, die Technik selbst erfinden konnte.
Von da an war der Fortschritt nicht mehr aufzuhalten: Alle Probleme, über denen sich die Menschheit die letzten Jahrzehnte den Kopf zerbrochen hatte, ließen sich schneller lösen, als jemand hätte „Heureka!“ sagen können. Die Liste der neuen bahnbrechenden Erfindungen wuchs jeden Tag exponentiell an und uns über den Kopf. 

Nach nur einem Jahr war dann plötzlich der Punkt der Stagnation erreicht. Alle wichtigen Fragen die sich die Menschheit bis dahin gestellt hatte, waren beantwortet und ein Wachstum aus technologischer Sicht bis auf weiteres nicht mehr möglich. Die Ergebnisse, die die Maschinen ausspuckten waren für uns einfach nicht mehr verständlich. Die künstliche Intelligenz hatte unsere eigene überholt. Wir kamen mit unserem menschlichen Verstand nicht mehr hinterher. 

Das war der Tag, an dem ein unbedachter Wissenschaftler den Computer mit einer ebenso unbedachten Frage fütterte: „Was sollen wir tun?“
„DER MENSCH BENÖTIGT EIN UPDATE.“ war das Ergebnis – zusammen mit einer Vielzahl von Plänen zur Verbesserung des menschlichen Leistungsvermögens in jeglicher Hinsicht. Die Pläne reichten von kybernetischen Implantaten zur Verbesserung von Geschwindigkeit, Kraft und Ausdauer, bis hin zu Hirnimplantaten für eine höhere „Rechenleistung“ oder mehr „Speicher“.
Beflügelt von der enormen Gier nach immer mehr und mehr Fortschritt, die durch die immense Entwicklung des vergangenen Jahres entstanden war, dachte niemand auch nur eine Sekunde über die Risiken und die Notwendigkeit solcher Eingriffe nach. Der Mensch bekam sein Update und erhielt die Versionsnummer 2.0. 

Doch anstatt die Gleichheit unter den Menschen zu fördern, indem körperliche oder geistige Nachteile einfach durch Implantate ausgeglichen wurden, verstärkte diese neue menschliche Revolution vielmehr die Ungleichheit in einem Maße, wie sie zuvor noch nie existiert hatte.
Die Implantate waren für die meisten Menschen mit einem durchschnittlichen Einkommen schlichtweg zu teuer, sodass sich sehr schnell zwei völlig neue Klassen in der Gesellschaft auftaten: Menschen mit und ohne Update.
Da die Menschen ohne ein Update keine Arbeit mehr finden, weil sie nicht „produktiv“ genug sind, landen sie sehr schnell auf der Straße. Sie werden letztendlich einfach aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Genaugenommen betrachtet man sie nicht einmal mehr als Menschen, obwohl sie eigentlich die menschlicheren sind. Dort rotten sie sich in Lagern von Ausgestoßenen zusammen, wo die Nahrung langsam immer knapper wird, da Menschen mit Update in der Regel ohne den Verzehr von herkömmlichen Lebensmitteln auskommen.

Der tägliche Kampf für uns Menschen ohne Update wird daher jeden Tag immer härter. Aber es ist unsere Pflicht zu überleben, egal wie schwer es ist! Nicht um dieses elende Dasein noch weiter zu verlängern oder uns gar gegen die Nicht-Menschen zu erheben, sondern damit die Menschheit mit uns nicht ausstirbt.

Mittwoch, 30. Oktober 2013

Ein Schritt zurück

Es wird Zeit. Zeit fehlt.
Zeit rennt davon.
Zeiten ändern sich,
ändern dich, ändern alles.

Alles dreht sich, verschwimmt
so schnell; es fällt schwer,
den Überblick zu
behalten; große Verwirrung.

Doch gelegentlich reicht die Zeit.
Man macht einen Schritt zurück
und die Ruhe kehrt ein.
Man erkennt: Alles wird gut!

Montag, 24. Juni 2013

Flut verschlafen

Ja, es tropft, tropft, tropft
auf uns're Köpfe
und es klopft, klopft, klopft
an unsre Stirn.
Doch wir sehen nichts.
Nein, wir schlafen zu tief.
Ja, wir träumen vor uns hin.

[Refrain:]
Und die Flut sie kommt bestimmt.
Ja, wir rufen sie herbei.
Schaufeln uns mit Tatendrang das eig'ne Grab.
Denn wir glauben, dass es hilft,
wenn man schwimmen kann
und so werden wir alsbald ertrinken.

Ja, es schwappt, schwappt, schwappt,
an uns're Küsten
und es klappt, klappt, klappt,
nichts, wie es soll.
Doch wir handeln nicht.
Nein, wir warten zu lang.
Ja, wir fahren einfach fort.

[Refrain:]
Und die Flut sie kommt bestimmt.
Ja, wir rufen sie herbei.
Schaufeln uns mit Tatendrang das eig'ne Grab.
Denn wir glauben, dass es hilft,
wenn man schwimmen kann
und so werden wir alsbald ertrinken.

 Ja, es fließt, fließt, fließt
durch uns're Straßen
und es schießt, schießt, schießt
in unser Heim.
Doch wir schwimmen nicht.
Nein, wir schlafen zu tief.
Ja, wir wurden überrascht.

[Outro:]
Denn die Flut sie kam so schnell.
Ja, wir riefen sie herbei.
Schaufelten mit Tatendrang das eig'ne Grab.
Denn wir glaubten, dass es hilft,
wenn man schwimmen kann
und so sind wir alle nun ertrunken.