Außer mir und den paar
anderen Urgesteinen weiß heute keine mehr wie sie anfing, die menschliche
Revolution. „Zurückgebliebene“ nennen sie uns, „Auslaufmodelle“, wenn sie
glauben, dass wir nicht hinhören.
Ich erinnere mich noch
gut daran, auch ohne irgendwelche Implantate in meinem Kopf: Als sie den ersten
Quantencomputer fertigstellten, ging plötzlich alles so schnell. Innerhalb von
wenigen Tagen wurde die komplette Welt der Informationstechnologie auf den Kopf
gestellt. Rechenleistung stand plötzlich in nahezu unbegrenztem Maße zur
Verfügung. Die Fachpresse jubelte schon, dass nun ein neues digitales Zeitalter
angebrochen sei – bis das organisierte Verbrechen nur wenige Tage später den Nutzen des
Quantencomputers für sich erkannte.
Durch die enorme Rechenleistung war
plötzlich keine Verschlüsselung mehr sicher, weil sie nun binnen von Sekunden
geknackt werden konnten.
Die Regierung musste schnell eingreifen: Sie machte kurzerhand alle Besitzer
eines Quantencomputers ausfindig, beschlagnahmte die Rechner und erklärte die Baupläne zu Staatseigentum sowie
die Nutzung von Quantencomputern zum staatlichen Monopol. Danach wurden alle
Forscher, die zuvor mit der Entwicklung des Rechners beschäftigt waren, von der
Regierung unter Vertrag genommen, um sein volles Potential zu erforschen und es
zum Wohl des Volkes einzusetzen.
Anfangs verliefen die Forschungen sehr kontrolliert und die Rechenleistung
wurde nur für die Lösung mathematischer Probleme genutzt. Die Erkenntnisse
hieraus waren zwar enorm, aber nicht bahnbrechend. Dann hatte jedoch der
Informatiker Allen White, dessen Fachgebiet künstliche Intelligenz war, die
Idee, einen vielversprechenden Prototypen für eine künstliche Intelligenz mit
dem Quantencomputer zu betreiben. Der Prototyp war in seinem Forschungsgebiet
schon lange Zeit bekannt gewesen, jedoch nie zum Einsatz gekommen, da die
immens hohe Rechenleistung, die für seinen Betrieb nötig war, bis dahin einfach
nicht zur Verfügung stand. Er war stark genug, um Probleme nicht nur genauso
gut, sondern schneller und besser als ein Mensch zu lösen. Die Kombination aus
Quantencomputer und KI konnte nun als Forschungsmaschine genutzt werden, die
Technik selbst erfinden konnte.
Von da an war der Fortschritt nicht mehr aufzuhalten: Alle Probleme, über denen
sich die Menschheit die letzten Jahrzehnte den Kopf zerbrochen hatte, ließen
sich schneller lösen, als jemand hätte „Heureka!“ sagen können. Die Liste der
neuen bahnbrechenden Erfindungen wuchs jeden Tag exponentiell an und uns über
den Kopf.
Nach nur einem Jahr war
dann plötzlich der Punkt der Stagnation erreicht. Alle wichtigen Fragen die
sich die Menschheit bis dahin gestellt hatte, waren beantwortet und ein
Wachstum aus technologischer Sicht bis auf weiteres nicht mehr möglich. Die
Ergebnisse, die die Maschinen ausspuckten waren für uns einfach nicht mehr
verständlich. Die künstliche Intelligenz hatte unsere eigene überholt. Wir
kamen mit unserem menschlichen Verstand nicht mehr hinterher.
Das war der Tag, an dem
ein unbedachter Wissenschaftler den Computer mit einer ebenso unbedachten Frage
fütterte: „Was sollen wir tun?“
„DER MENSCH BENÖTIGT EIN UPDATE.“ war das Ergebnis – zusammen mit einer
Vielzahl von Plänen zur Verbesserung des menschlichen Leistungsvermögens in
jeglicher Hinsicht. Die Pläne reichten von kybernetischen Implantaten zur
Verbesserung von Geschwindigkeit, Kraft und Ausdauer, bis hin zu
Hirnimplantaten für eine höhere „Rechenleistung“ oder mehr „Speicher“.
Beflügelt von der enormen Gier nach immer mehr und mehr Fortschritt, die durch
die immense Entwicklung des vergangenen Jahres entstanden war, dachte niemand
auch nur eine Sekunde über die Risiken und die Notwendigkeit solcher Eingriffe
nach. Der Mensch bekam sein Update und erhielt die Versionsnummer 2.0.
Doch anstatt die
Gleichheit unter den Menschen zu fördern, indem körperliche oder geistige
Nachteile einfach durch Implantate ausgeglichen wurden, verstärkte diese neue
menschliche Revolution vielmehr die Ungleichheit in einem Maße, wie sie zuvor
noch nie existiert hatte.
Die Implantate waren für die meisten Menschen mit einem durchschnittlichen
Einkommen schlichtweg zu teuer, sodass sich sehr schnell zwei völlig neue Klassen
in der Gesellschaft auftaten: Menschen mit und ohne Update.
Da die Menschen ohne ein Update keine Arbeit mehr finden, weil sie nicht „produktiv“
genug sind, landen sie sehr schnell auf der Straße. Sie werden letztendlich
einfach aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Genaugenommen betrachtet man sie
nicht einmal mehr als Menschen, obwohl sie eigentlich die menschlicheren sind. Dort
rotten sie sich in Lagern von Ausgestoßenen zusammen, wo die Nahrung langsam
immer knapper wird, da Menschen mit Update in der Regel ohne den Verzehr von
herkömmlichen Lebensmitteln auskommen.
Der tägliche Kampf für
uns Menschen ohne Update wird daher jeden Tag immer härter. Aber es ist unsere
Pflicht zu überleben, egal wie schwer es ist! Nicht um dieses elende Dasein
noch weiter zu verlängern oder uns gar gegen die Nicht-Menschen zu erheben,
sondern damit die Menschheit mit uns nicht ausstirbt.